《Vera - Ein Abentuer ins Ungewisse [German]》Kapitel 64: Alltag im Wimmerwald

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Wenn man so darüber nachdenkt, ist es ziemlich erschreckend, wie abhängig die Menschheit von ihrem Sehsinn ist. Falls eines Tages die Sonne plötzlich nicht mehr aufgehen würde, hätten wir echt ein verdammt großes Problem. Glücklicherweise haben schlaue Leute Mittel und Wege gefunden, auch die dunkelsten Orte mit Licht zu erhellen. Die Mitglieder des großen Marsches verlassen sich entweder auf ihre Nachtsicht, nutzen Schimmersteine oder werfen direkt Leuchtkugeln um die Dunkelheit zurückzuschlagen. Vor allem Letztere machen einen erstaunlich guten Job. Die Wimmerspinnen sind verständlicherweise alles andere als davon begeistert, wenn neben ihnen plötzlich eine kleine Sonne aufleuchtet. Die Abenteurer versuchen zwar ihr Bestes um die Lichtquellen zu verteidigen, doch der nächtliche Ansturm ist enorm. Ein Umstand, welcher die Rang 3 Mitglieder dieser Operation auf den Plan ruft.

Insgesamt reisen sieben dieser Monster mit uns. Für die Spinnen kommt das Eingreifen dieser Individuen einer Naturkatastrophe gleich. Ich bekomme zwar aus meiner wohlbehüteten Position nur einen Bruchteil des Geschehens mit, doch die Spuren ihrer Waffen und Fertigkeiten sind kaum zu übersehen.

Auch Bruno und Rina scheinen inzwischen aktiv geworden zu sein. Während ich vom Werk des Erdmagiers nur die Erschütterungen spüren kann, ist der locker zwei Meter große Feuerball über den Köpfen der rechten Flanke nur schwer zu ignorieren. Statt aber mit einem großen Knall alles dem Erdboden gleichzumachen, lösen sich dutzende Projektile aus der Kugel, welche auf die Spinnen niederprasseln. Mit jeder Salve wird der lodernde Zauber ein Stückchen kleiner und löst sich schließlich in Luft auf. Während sich die Abenteurer vor allem über die Verschnaufpause freuen, würde ich am liebsten meinen nicht vorhandenen Hut vor dieser Darbietung ziehen.

Eine große, elementare Kugel zu wirken klingt nach einem ziemlich einfachen Zauber. Von diesem Objekt dann wiederum Teile abzutrennen, ihnen einen neue Form geben und sie auf ein Ziel fliegen lassen, während man gleichzeitig noch das alte Konstrukt aufrechterhält, ist schlichtweg beeindruckend. Ich schaffe es im direkten Vergleich ja nicht einmal ein einzelnes Objekt, um meinen Körper kreisen zu lassen. Jedoch sehen die Fertigkeiten eines Rang 1 im Vergleich zu einem Rang 2 vermutlich immer bescheiden aus. Bis zur Ankunft im Camp 1 ist meine Zeit am Besten damit verbracht zu beobachten. Ich kann von dem Verhalten der Abenteuer noch eine Menge lernen. Mit ein wenig Glück wirkt Rina denselben Zauber nochmal und ich erspähe vielleicht einen Hinweis darauf, der mir bei meinen eigenen, magischen Problemen weiterhilft.

Es vergehen gefühlt endlose Stunden voller Geschrei, Blut und Tod bis wir endlich Camp 4 erreichen. Ein Großteil der Abenteurer pfeift bei unserer Ankunft aus dem letzten Loch. Sich fast zwei Tage lang durch den Wimmerwald schlagen zu müssen, hinterlässt selbst bei einem erfahrenen Kämpfer Spuren. In Anbetracht dessen, über meinen Schlafentzug zu jammern, wäre ziemlich egoistisch. Trotzdem bin ich froh, mich endlich ausruhen zu können.

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Die Sonne steht bereits schon hoch am Horizont, als die Mitglieder des großen Marsches wieder erwachen. Camp 4 befindet sich in einer Übergangszone zwischen dicht stehenden Bäumen und einem eher offeneren Gebiet. Da sich Wimmer- und Ritterspinnen bevorzugt aber in den jeweiligen Teilen des Waldes aufhalten, haben die hier stationierten Leute ein vergleichsweise entspanntes Leben. Dennoch ist die strategische Lage von Camp 4 für die Menschen von enormer Bedeutung. Jeder, der zu den Lagern 1 bis 3 möchte, versucht hier seine Batterien wieder aufzuladen. Entsprechend geräumig fällt das Innere des Holzwalls aus. Eine hohe dreistellige Zahl an Leuten hier unterzubringen sollte kein Problem darstellen.

Die generelle Energie im Camp ist trotz der ersten, erfolgreichen Etappe niedrig. Jeder weiss, dass uns ab morgen ein anderer Wind um die Ohren wehen wird. Es gilt stundenlang durch Ritterspinnen-Territorium zu wandern. Wimmerspinnen sind berechenbar. Die Biester sehen dich, trommeln ihre Kameraden zusammen und stürzen sich blind auf dich, bis nur noch eine Seite übrig ist. Ritterspinnen wiegen ihre Optionen ein wenig besser ab. Die Tiere greifen erst an, wenn sie sich im Vorteil sehen. Hunderte Abenteurer sind genau solange eine gute Abschreckung, bis ihre relative, zahlenmäßige Überlegenheit flöten geht. Möglicherweise werden wir das nächste Teilziel erreichen, ohne auch nur einmal kämpfen zu müssen. Genauso gut kann es aber auch sein, dass dutzende Menschen den morgigen Tag nicht überleben werden.

Schnell lassen wir die Sicherheit des Camps hinter uns und streifen erneut durch die Untiefen der Natur. Nur weit entfernt hallen die wimmernden Laute der Spinnen durch das Geäst. Eine ungewohnte Stille, die schon bald durch ein Horn von der linken Flanke durchbrochen wird. Die erste Ritterspinne wurde gesichtet.

Ich frage Paul, warum wir uns nicht auf die einzelnen Tiere stürzen, bevor sie sich entsprechend gruppieren können. Laut ihm würde solch ein Plan aber zu viel Zeit in Anspruch nehmen. Die acht kräftigen Beine des Tieres bringen es bei Bedarf in diesem lichten Gelände flott voran. Seine Kräfte aufzuteilen, würde uns verlangsamen und die Sicherheit der Horde torpedieren. Je schneller wir dieses Stück des Waldes durchqueren, desto besser.

Selbst im Zentrum des großen Marsches ist die Anspannung mittlerweile greifbar. Den Hörnern nach zu urteilen, werden wir mittlerweile von mindestens drei dutzend Einheimischen begleitet. Noch bleiben die Tiere auf Abstand und beobachten uns nur. Bereit bei der ersten Gelegenheit, einen der unseren in Stücke zu reißen.

Einige Zeit später verkünden jedoch mehrere Hörner gleichzeitig das, was wir alle befürchtet hatten. Schlagartig bricht Chaos in den Reihen der Abenteurer aus. Von Rang 3, welcher eigentlich die anderen und mich schützen soll, fehlt plötzlich jede Spur. Fairerweise sind seine Talente im Moment auch an anderer Stelle besser aufgehoben. Trotzdem sorgt seine Abwesenheit für eine gewisse Unruhe unter den Leuten. Als schließlich keine hundert Meter zu unseren Rechten jemand wie Spielzeug durch die Lüfte segelt, bricht endgültig Panik aus.

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“Wir sollten uns einer der Fronten anschließen und helfen”, meint Paul gelassen und zieht sein Schwert. “Das sichere Geleit ist auch nicht mehr das, was es mal war”, mault Kurt und zückt seinen Streitkolben. Entgegen meines gesunden Menschenverstandes stimme ich Pauls Plan zu und gemeinsam beeilen wir uns an die Front zu kommen.

Im Getümmel der Schlacht wundert sich niemand, was ein Magier so nah am Kampfgeschehen verloren hat. Der erste Zapfensplitterschuss lässt die Abenteurer um mich herum jedoch aufmerksam werden. Mein Zauber tötet die abgelenkte Ritterspinne zwar nicht, aber Kurt braucht keine Einladung um das schwer angeschlagene Tier zu erledigen. “Wir haben einen Nahkampfmagier mitgebracht”, schreit Paul den Leuten zu. “Falls also jemand Lust hat, ein paar Spinnen in den Hintern zu treten, der ist uns jederzeit willkommen.” Während Paul und Kurt mich beschützen, wirke ich wann immer möglich meinen Zauber. Mit zehn Manatränken in der Hinterhand habe ich genug im Köcher, um den Spinnen ordentlich zusetzen zu können.

Die anderen Abenteurer adaptieren schnell auf die neue Situation. Nachdem sie die Möglichkeiten von Zapfensplitterschuss einigermaßen verstanden haben, werde ich auf Zuruf von links nach rechts geschickt. Meine initialen Bedenken bezüglich meiner Sicherheit stelle ich schnell zurück. Kurt und Paul leisten exzellente Arbeit und auch dem Rest ist klar, dass man einem Magier immer den Rücken freihalten muss. Mein Eingreifen entscheidet die Schlacht gewiss nicht. Doch wenn wir hier die Situation unter Kontrolle kriegen, können die schweren Jungs ihre Kräfte auf andere Brennpunkte richten.

Nach einer guten Viertelstunde ist der Spuk vorbei. Fünf meiner Tränke musste ich nutzen, doch vielleicht konnte ich somit ein oder zwei Leben retten. Anderswo hatte man weniger Glück. Mehrere dutzend Frauen und Männer haben den Angriff nicht überlebt. Blut für Blut, Tod für Tod, Alltag im Wimmerwald. Die Gesichter der Abenteuer sprechen Bände, doch wirklich überrascht ist niemand. Jeder, der sich für den großen Marsch anmeldet, ist sich dem damit einhergehenden Risiko bewusst. Uns bleibt sowieso nur wenig Zeit zum Trauern. Die nächsten Ritterspinnen könnten schon auf dem Weg hierher sein und auf eine weitere Auseinandersetzung mit diesen Monstern kann wirklich jeder hier verzichten.

Die Nacht bringt noch einmal die aberwitzigen Ausmaße dieses Krieges zur Geltung. Was ursprünglich wie ein ganz normaler Angriff von Wimmerspinnen aussieht, wandelt sich schnell in eine buchstäbliche Flut an Tieren, welche uns zu ertrinken droht. Es verlangt den beiden Magiern und den Rang 3 Abenteurern eine Menge ab, um uns aus dieser brenzligen Situation zu bringen. Tausende von Spinnen werden binnen Minuten zu Staub zermalmt. Trotzdem kriechen aus irgendwelchen Löchern immer neue Tiere und werfen sich uns in ihrem suizidalen Wahn entgegen. Wie irgendjemand dieses Wald wieder verlassen kann, ohne Level 50 zu erreichen, ist mir ein absolutes Rätsel.

Die Dämmerung bricht an, wir töten weiter. Über den kompletten, verfluchten Tag kann ich die Anzahl der Pausen für die Abenteurer an einer Hand abzählen. Jeder von ihnen sieht aus, als hätte er im Blut der Tiere gebadet. Ein Vergleich, welcher der Realität erschreckend nahe kommt.

Auch als sich unsere Gruppen dann entsprechend der Camps aufteilen und ihren eigenen Weg gehen, nehmen die Horden gefühlt kein Ende. Ich selbst finde mich mit einem Stock bewaffnet, ebenfalls mitten im Getümmel wieder. Auf das freie Geleit gebe ich einen Feuchten. Wenn unser nun deutlich reduzierter Verband zusammenbricht, bin ich ebenfalls am Arsch. Ein freundlicher Hieb auf den Kopf der Mistviecher gibt mir zumindest das Gefühl, irgendetwas Nützliches zu tun. Das ich es dabei über den Zeitraum von mehreren Stunden schaffe, nur zweimal gebissen zu werden, liegt voll und ganz an meinen Kameraden. Ohne Kurt und Paul an meiner Seite würde ich inzwischen wohl irgendwo unter einem Berg von Wimmerspinnen liegen.

Plötzlich höre ich ein lautes Krachen und wenig später schlägt ein Meter großer Feuerball in den Scharen der Tiere ein. Was zur Hölle? Wenn Rina noch so ein Ass in der Hinterhand hatte, dann hätte sie es ja wohl auch früher benutzen können! Allerdings machen mehrere dieser Geräusche schnell klar, dass die Feuermagierin nichts mit dem Artilleriebeschuss zu tun hat. “Schaut so aus, als hätten wir es endlich in die Reichweite von Camp 1 geschafft", meint Paul mit einem leichten Grinsen im Gesicht. Der Einsatz der Langstreckenwaffen des Camps gibt den Frauen und Männern nochmal einen richtigen Energieschub. Alle wissen nun, dass unser aller Ziel nur noch einen Steinwurf weit entfernt ist.

Im Zuge der anbrechenden Dämmerung lassen wir schließlich die letzten Bäume hinter uns und ich erblicke zum ersten Mal die stattliche Festung, welche für die nächsten Wochen mein Zuhause sein wird.

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