《Vera - Ein Abentuer ins Ungewisse [German]》Kapitel 63: Der große Marsch

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Braune Armeeameisen zeichnen sich durch mehrere Sachen aus. Wie alle Vertreter dieser Rasse greifen sie gerne auf Schwarmtaktiken zurück. Jeder einzelner dieser kleinen Zeitgenossen würde freiwillig in den sicheren Tod laufen, solange es der restlichen Kolonie hilft. Gleichzeitig verfügen sie aber auch über Magierameisen, welche selbst den ansonsten übermächtigen Ritterspinnen Einhalt gebieten können. Trotz ihrer offensiven Feuerkraft, ist der Kampf um Platz und Ressourcen so enorm, dass die Tierchen meistens alle Hände voll mit der Verteidigung ihres Territoriums zu tun haben.

Dabei beweisen die Ameisen einen Intellekt, welcher ihnen überhaupt erst eine Chance in diesem nie endenden Massaker gibt. Sie bauen Mauern, heben Gräben an strategisch wichtigen Punkten aus, locken ihre Widersacher in ungünstige Situationen und nehmen auch mal Rückschläge in Kauf, sodass sie zu einem späteren Zeitpunkt härter zurückschlagen können. Für ein Lebewesen, das fast so groß wie mein Arm wird, ist das ziemlich beeindruckend.

Wofür die Tiere jedoch nicht bekannt sind, ist ihre liebliche Stimme. Statt über hörbare Laute kommunizieren Ameisen zu großen Teilen über spezielle Pheromone. Was innerhalb einer Kolonie wahrscheinlich wirklich praktisch ist, hilft im Austausch mit anderen Rassen nicht unbedingt weiter. Soweit ich das verstehe, lässt sich die Situation zwischen den Abenteurern und den Ameisen mit Abstand halten und beobachten, zusammenfassen. Beide Parteien haben mit den Spinnen mehr als genug zu tun. Solange also niemand in das Territorium des jeweils anderen eindringt, begnügt man sich mit einer einigermaßen friedlichen Koexistenz.

Zweck der Camps im Herzen des Wimmerwaldes ist es, die Spinnenpopulationen nicht eskalieren zu lassen. Ohne die Arbeit von Camp 1 bis 3 würden sich die Tiere immer weiter ausbreiten und irgendwann auch außerhalb des Waldes auf Nahrungssuche gehen. Entsprechend gründlich ist man mit der Auswahl des Personals, welche dieser Aufgabe nachgehen soll. Alle, die nicht mindestens Level 30 des zweiten Ranges innehaben, können sich direkt von einem Platz in einem der zentralen Camps verabschieden. Da es einzelne Gruppen jedoch schwer haben, so tief in den Wimmerwald vorzudringen, gibt es sogenannte große Märsche. Diese finden mehrmals im Jahr statt und tauschen den wesentlichen Teil der stationierten Abenteurer aus. Arbeit, welche entsprechend dem Risiko gut bezahlt wird. Auch die potentielle Menge an Erfahrungspunkten ist für viele verlockend. Es ist also kein Wunder, dass viele aufstrebende Abenteurer am großen Marsch interessiert sind.

Ein anderer Weg, um in eines der Camps zu gelangen, sind sichere Plätze. Neben Abenteurern wollen unter anderem auch Kuriere, Schmiede, Schneider oder Alchemisten in den Wimmerwald. Um solch einen Platz zu bekommen, braucht man aber entweder das nötige Kleingeld oder entsprechende Beziehungen. Erneut beweist sich, dass ich ohne die Shira-Gilde völlig aufgeschmissen wäre.

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Pauls Engagement bezüglich der Ameisen hat leider wenig Früchte getragen. Bis auf die bereits genannten Punkte konnte er nichts Neues in Erfahrung bringen. Die Armeeameisen erscheinen laut seinen Quellen momentan weder besonders gestresst, geschweige denn in existenziellen Schwierigkeiten zu stecken. Über den Kurs der nächsten sieben Tage versuchen wir irgendwie schlauer aus dem Missionstext zu werden. Der Konsens ist schließlich, dass mich Gewalt in dieser Angelegenheit nicht weiter bringen wird. Da die Mission "Ungewöhnlicher Vermittler” heißt, wollen die Ameisen wahrscheinlich etwas vom Anführer der Camps, statt von mir persönlich.

Warum es die Tiere es bisher nicht auf dem direkten Weg versucht haben? Wir haben nicht den leisesten Schimmer. Vielleicht fürchten sich die Tiere vor den Anführern oder hatten bisher keine Gelegenheit dazu. Wir sprechen hier immerhin von kampferprobten Rang 3 Abenteurern. Möglicherweise ist es für die Ameisen aber ebenfalls eine Frage des Wie und nicht des Ob. Mein Ziel ist es erstmal, die Tiere vor Ort zu beobachten. Da Ameisen süße Sachen lieben, werde ich ein wenig Honig mitnehmen. Ob ich jedoch mit solch einer Geste die Insekten davon abhalten kann, mich in Stücke zu reißen, bleibt abzuwarten.

Am frühen Morgen des nächsten Tages beginnen sich die Teilnehmer des großen Marsches vor dem Stadttor zu versammeln. Der einsetzende Regen kann die Laune hunderter motivierter Abenteurern aus Nah und Fern kaum trüben. Wie sich schnell herausstellt, bin ich nicht der einzige Magier, welcher Teil dieser Wanderung sein wird. Sowohl Rina Warscher als auch der Erdmagier Bruno Naber haben sich mit ein paar ihrer Leute eingefunden.

Dem hochgewachsenen, leicht gelangweilt aussehenden Mann durfte ich in den vergangenen Monaten ein paar Mal begegnen. Bruno ist kein Mensch vieler Worte, hat mir aber dennoch eindeutig zu verstehen gegeben, wie wenig er von mir hält. Abenteurer werden gerne an ihrer Erfahrung, ihrem Level oder ihrem Alter gemessen. Wer den zweiten Rang im Alter von achtzehn Jahren noch nicht erreicht hat, gilt als fauler Sack. Im Gegensatz zu gewissen anderen Persönlichkeiten belässt Bruno es aber bei einer Klarstellung seiner Ansichten und behandelt mich ansonsten wie Luft. Ein Tausch, mit dem ich gut und gerne leben kann.

Das Rina wiederum am großen Marsch teilnimmt, scheint mir zumindest ein komischer Zufall zu sein. Die Shira-Gilde hat zwar versucht, möglichst unauffällig an die nötigen Manatränke für mein Dilemma zu kommen, aber ein paar schlauen Leuten ist die Anomalie dennoch aufgefallen. Ich glaube zwar nicht, dass mich die Feuermagierin bei meinen Vorhaben behindern wird, doch wer weiß schon, was der rothaarigen Frau so durch den Kopf spukt.

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Ich selbst werde von Paul, Kurt und Sam begleitet. Die beiden Krieger könnten charakterlich kaum unterschiedlicher sein. Wir sind noch nicht einmal eine Stunde unterwegs, als Kurt bereits beinahe in die erste Rauferei verwickelt ist. Trotz seiner kurzen Lunte ist er eine gute Seele, welcher seinen Worten auch Taten folgen lassen kann.

Pauls kämpferische Fertigkeiten stehen außer Frage. Er ist vermutlich in der Gilde der Einzige, der es mit Sophie in einem Duell aufnehmen kann. Sein enormer Erfahrungsschatz könnte eventuell der Schlüssel sein, um meinem Vorhaben zum Erfolg zu verhelfen.

Sam hat bereits die Schnauze mal wieder gestrichen voll, aber alles andere hätte mich bei dem Kurier auch stark gewundert. Es fällt uns wahrscheinlich eher die Sonne auf den Kopf, bevor der Miesepeter auf einer Mission gut drauf ist. Witzigerweise würde genau dieser Typ vermutlich sieben Tage am Stück durchlaufen, wenn es bedeuten würde, dass sein Einsatz einem Kameraden das Leben rettet. Sich keine Gedanken um Vorräte machen zu müssen, nimmt dem Rest von uns eine erhebliche Last von den Schultern.

Unsere Reise durch den Regen verläuft über die nächsten Tage eher schleppend. Neben kleineren Reibereien ist es vor allem die schiere Anzahl an Menschen, welche unser Vorankommen verlangsamt. Mittlerweile hat sich herumgesprochen, dass meine Gefährten und ich nur per Anhalter in den Wimmerwald reisen. Eine Tatsache, die vielen Abenteurern sauer aufstößt. Bis auf den ein oder anderen Rempler oder ein paar Sprüchen bleibt es aber zivilisiert. Im Karussell des großen Marsches sind wir nur ein kleines Rädchen und den möglichen Ärger nicht wert. Kurt sieht die Lage allerdings anders und es bedarf einiges an Aufwand, um den Status Quo beizubehalten.

Am Nachmittag des neunzehnten Tages kommen die Ausläufer des Wimmerwaldes schließlich in Sicht. Wir schlagen in sicherer Entfernung ein frühes Nachtlager auf. Die Anspannung der Abenteurer ist deutlich spürbar. Die meisten Teilnehmer des Marsches standen schon mehrere Male den Schrecken jenseits der Bäume gegenüber. Obwohl wir mit einer halben Armee unterwegs sind, besteht dennoch ein gewisses Risiko. Der Wimmerwald bestraft kleine Unantsamkeiten schnell und hart. Es ist für alle von uns die letzte ruhige Nacht, die wir auf absehbare Zeit haben werden.

Anweisungen werden gebrüllt, die letzten Zelte werden abgebaut und jeder Abenteurer versucht zu seinen zugewiesenen Platz zu kommen. Wettertechnisch werden wir sogar mit ein wenig Sonnenschein belohnt. Perfekte Bedingungen, um ein Massaker zu veranstalten. Die generelle Strategie ist einfach zu verstehen. Jeder Abenteurer ist Teil einer Gruppe von vierzig bis fünfzig Mann. Jede Gruppe verteilt sich in Sichtkontakt zu einer weiteren Gruppe und nimmt eine grobe, kreisförmige Formation ein. Wir rücken zehn Minuten vor, töten alles was mehr als zwei Beine hat und wiederholen diesen Prozess bis wir unsere Zwischenstation, Camp 4, erreichen. Falls jemand eine Pause braucht, wechselt er einfach mit seinem Hintermann. Wenn sich die Möglichkeit ergibt, werden alle paar Stunden die Positionen der äußeren und inneren Gruppen miteinander getauscht. Kein perfektes System, doch somit bekommt jeder garantiert etwas vom Kuchen ab.

Mein Platz ist in der zentralen Gruppe dieses Spektakels. Nur wenige Spinnen verirren sich bis hierhin und werden selbst dann zügig von den erfahrenen Abenteurern ausgeschaltet. Langweilig wird mir dennoch nicht. Wie ein Schwamm sauge ich die Eindrücke des großen Marsches auf. Die Kampfschreie, die Laute der Wimmerspinnen, das Geräusch von Hörnern, welche verschiedene Botschaften untereinander austauschen. Es passiert so viel auf einmal, dass ich mich ein wenig überfordert fühle. Für die wichtigen Leute muss solch ein Chaos purer Stress sein. Allerdings haben diese Personen auch ihre Position nicht ohne Grund inne. Stunden später befinden wir uns bereits tief im Wald und mir ist noch kein Toter zu Ohren gekommen. Jedoch steht uns auch noch mindestens eine ganze Nacht bevor, bis wir unsere Zwischenetappe erreichen.

Nach einem Ruhetag in Camp 4, geht es dann noch einmal richtig ans Eingemachte. Vor allem die letzten Stunden bis Camp 1 sollen so hart wie die ersten beiden Tage zusammen sein. Ich öffne mein Missionsfenster. Mir bleiben noch 38 Tage, 9 Stunden und 34 Minuten, um "Ungewöhnlicher Vermittler” abzuschließen.

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